Die Administration des US-Präsidenten Donald Trump setzt die Wissenschaft unter Druck: Forschungsgelder werden eingefroren, wissenschaftliche Institutionen geschwächt und ganze Fachbereiche – von Klima- bis Geschlechterforschung – zensiert und ausgehöhlt. Die Erhebung und der internationale Austausch von Daten, darunter Gesundheitsdaten zum derzeit kursierenden und hochpathogenen Vogelgrippevirus, wurden verboten.
Laut einem Bericht der «NZZ am Sonntag» hat die Trump-Administration zudem weltweit Fragebögen an Universitäten verschickt, um zu prüfen, ob von den USA finanzierte Projekte mit der politischen Linie der Regierung übereinstimmen. Ein Fragebogen landete wegen eines bestimmten Projektes im Postfach der ETH. Der Inhalt des Projekts ist unbekannt, aber in den Fragen geht es um Diversität, Gleichstellung, Inklusion, Klima und Umwelt – Themen, die unter Trump unerwünscht sind.
Dieser eine Fragebogen könnte erst der Anfang sein. Laut der «NZZ am Sonntag» laufen an der ETH derzeit nämlich 14 Projekte mit amerikanischen Geldern, durchschnittlich erhält die Institution pro Jahr 2,5 Millionen Franken US-Fördergelder. Auch die ETH in Lausanne, die EPFL, erhielt letztes Jahr fast 1,2 Millionen Franken. «Wir sind uns bewusst, dass die politische Situation diese Finanzierungsquelle beeinträchtigen könnte», hält die EPFL-Medienstelle auf Anfrage fest.
Andere Schweizer Universitäten profitieren ebenfalls von US-Geldern: Aktuell laufen fünf Projekte in Basel, neun in Genf und 15 in Bern. Die Universität Zürich erhält jährlich eine Million Dollar von den US National Institutes of Health. Bisher wurde jedoch nur die ETH Zürich mit einem Fragebogen konfrontiert.
Klar ist: Die Hochschulen müssen einen Umgang mit dieser Intervention aus den USA finden. Bei Swissuniversities, der Konferenz der Hochschulrektoren, läuft bereits eine interne Abklärung. Diese sei allerdings komplex und zeitaufwendig, heisst es auf Nachfrage. Frühestens nächste Woche rechne man mit der Publikation eines entsprechenden Statements.
Auch der ETH-Bereich wird den Umgang mit den US-Fragebögen diskutieren. Zuerst müsse eine Analyse auf den rechtlichen Grundlagen gemacht werden, danach könnten die Institutionen entsprechend handeln, sagt Gian-Andri Casutt, Leiter Kommunikation des ETH-Bereichs, zu dem neben den ETHs Zürich und Lausanne auch das Paul-Scherrer-Institut, die Eawag, die Empa und die WSL gehören.
FDP-Nationalrätin Simone de Montmollin, Präsidentin der parlamentarischen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, WBK, warnt vor überhasteten Reaktionen auf den US-Fragebogen: «Bevor wir nicht wissen, wer wovon betroffen ist, sollten wir nicht überreagieren.» Ihre Haltung ist jedoch klar: «Die Politik kann der Wissenschaft keine Vorschriften machen. Dieses Prinzip sollten wir nicht opfern, es wäre gefährlich.» Eher sollten die Schweizer Universitäten Gelder anderswo suchen.
Doch es gibt auch Schweizer Politiker, die weniger Genderstudien oder Publikationen über die Gefahr der Klimaerwärmung begrüssen würden. Ist die Schweiz gefeit von der Einflussnahme des Parlamentes? Montmollin entgegnet: «Es ist die Gesellschaft, welche diese Fragen aufgeworfen hat – und die Universitäten haben mit Forschung geantwortet. Wenn sich die Erwartungen der Gesellschaft ändern, müssen die Universitäten ihr Forschungsprogramm ändern.» Sie vertraue da auf die Selbstregulation der Erwartungen und der Forschung. «Das muss man nicht brutal diktieren.» Und manchmal gebe es auch einen Auftrag des Volkes, der Studien zu einem gewissen Thema rechtfertige – wie nach der Abstimmung über das Klimagesetz.
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) verweist auf Anfrage darauf, dass die Verfassung die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung gewährleiste. Es seien zudem die Hochschulen selbst, die darüber entscheiden würden, an welchen internationalen Forschungskooperationen sie sich beteiligen. «Dies gilt auch für Projekte, für die sie ausländische Mittel erhalten.»
Fast zeitgleich mit dem Publikwerden des Fragebogens aus den USA hat die ETH Zürich ein neues Positionspapier verabschiedet. Die Hochschule will demnach künftig keine offizielle Position zu geopolitischen Konflikten mehr einnehmen. Das Dokument ausgearbeitet hat seit Juli 2024 eine eigens dafür gebildete Ad-hoc-Kommission unter der Leitung von Bioethik-Professorin Effy Vayena. Diese sagt dazu auf der Webseite der ETH: «Der Verzicht auf offizielle Positionierungen bedeutet nicht, dass unsere Institution den globalen Herausforderungen gleichgültig gegenübersteht.» Aber der beste Beitrag, den die ETH für die Welt leisten könne, sei die Erfüllung ihres Auftrags in Forschung, Lehre und Wissenstransfer. Die Positionierung zu komplexen geopolitischen Krisen gehöre nicht zu diesem Kernauftrag.
Dass es durchaus Risiken gibt, welche die ETH umgehen will, zeigt das Zitat von ETH-Präsident Joël Mesot: Während es ETH-Angehörigen freistehe, ihre eigenen politischen Meinungen zu bilden und zu äussern, habe die Universität als Institution die klare Verantwortung, ihre Kernaufgaben zu erfüllen, «ohne in geopolitische Debatten hineingezogen zu werden».
Die ETH ist mit ihrer Äusserung nicht allein – ähnlich klingt es aus Lausanne: Die EPFL schreibt, «dass es nicht unsere Aufgabe ist, auf politische Entscheidungen in den USA oder irgendwo auf der Welt zu reagieren».
In der Vergangenheit hat sich die ETH Zürich durchaus zu geopolitischen Konflikten geäussert. Jüngst etwa im März 2022, wenige Tage nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Damals publizierte die ETH eine Meldung, die sie mit «Solidarität mit der Ukraine» übertitelte. «Die ETH verurteilt die militärische Invasion Russlands in die Ukraine und die damit verbundene massive Verletzung des Völkerrechts aufs Schärfste», sagte Präsident Mesot darin.
Tatsächlich reagierten praktisch alle Forschungseinrichtungen auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands. Auch das als Friedensprojekt gegründete Kernforschungszentrum in Genf, das Cern, hat seine Zusammenarbeit mit dem Aggressor eingestellt.
Will die ETH also selbst in solch klaren Fällen auf eine Positionierung künftig verzichten? Ja, eine Stellungnahme in dieser Form würde man nicht mehr abgeben: «Sie würde sich auf konkrete Hilfsangebote für Personen aus der Krisenregion und für ETH-Angehörige, die von der geopolitischen Krise persönlich betroffen sind, beschränken», teilt die Medienstelle mit.
Diese Neutralitätslinie stösst aber auch auf Kritik, zum Beispiel bei der SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser, die sich für Inklusion einsetzt und ebenfalls Mitglied der parlamentarischen Kommission WBK ist. Sie sagt: «Neutralität ist ein absurder Anspruch, wenn es um Wissenschaft geht.» Denn die Wissenschaft liefere Fakten, die als Basis für Analysen, Entscheidungs- und Meinungsfindung dienten. Dass sich die ETH nicht mehr zu geopolitischen Angelegenheiten positionieren will, sieht Rosenwasser nicht als neutral an, sondern: «Das heisst, sich bewusst aus der Verantwortung zu ziehen.» Die ETH und andere Schweizer Hochschulen genössen weltweit hohes Ansehen. «Wenn sie sich vor dem Einfluss rechtspopulistischer Regierungen wegducken, riskieren sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch ihre eigene Unabhängigkeit.»
Und Mathilde Crevoisier, Präsidentin der WBK-Kommission im Ständerat sagt, natürlich stehe es den Hochschulen frei, sich für strikte Neutralität zu entscheiden, aber «das Problem ist, ob sie dies aus Angst vor politischen Repressalien tun.» Diese Gefahr sei vor dem Hintergrund des Rückgangs der öffentlichen Mittel für die Bildung durchaus gegeben.
Antonio Loprieno, Professor für Geschichte der Institutionen und ehemaliger Rektor der Universität Basel, sieht es differenzierter. Er findet es richtig, dass die ETH eine Kommission einberufen hat, um die Frage zu klären, und sagt: «Ich verstehe, dass die Universitäten es bevorzugen, nicht zur Geopolitik Stellung zu nehmen. Die Welt ist zu komplex geworden.» Zu viele Interessengruppen seien an einer Universität vertreten, zu viele Beziehungen würde man riskieren.
Wenn es jedoch nicht um die Politik, sondern um die akademische Freiheit gehe, sollten die Unis gerade hinstehen: «Wer es sich leisten kann, sollte sich nicht einschüchtern lassen, und ich gehe davon aus, dass sich die Schweizer Universitäten das leisten können», sagt Loprieno. Denn was aktuell von der Trump-Administration ausgehe, hätte er nie für möglich gehalten: «Das ist Einschüchterung der akademischen Freiheit, wie ich sie mit Nordkorea assoziiere! Vor dem Zweiten Weltkrieg sind Wissenschafter ins freie Land Amerika geflüchtet – jetzt passiert das Gegenteil.»
Doch ihre standhafte Haltung müssten die Universitäten nicht an die grosse Glocke hängen, sonst würden sie eben Politik machen. Loprieno findet: «Die ETH kann sich in ihrer Antwort klar positionieren und betonen, dass das ein massiver Eingriff sei, der auch die künftige Zusammenarbeit beeinflusse. Meine Erfahrung ist, dass punktuelle Antworten auf Druckversuche effektiver sind als öffentliche Statements.»
Ein öffentliches Statement mitunterzeichnet haben hingegen die Akademien der Wissenschaften der Schweiz im Februar: Es geht um eine Stellungnahme der All European Academies (ALLEA), einem Zusammenschluss von Akademien der Wissenschaften und ähnlichen Einrichtungen in Europa. Sie fordern Regierungen und Institutionen dazu auf, «laufenden Bemühungen zum Schutz der akademischen Freiheit und der Autonomie wissenschaftlicher Einrichtungen zu verstärken».
Yves Flückiger, Präsident Akademien der Wissenschaften Schweiz, äusserte sich dazu in einem Beitrag auf Linkedin im Detail. Demnach sei es auch für Schweizer Forschungseinrichtungen an der Zeit, «ihre unerschütterliche Unterstützung für die akademische Freiheit als Garant des wissenschaftlichen Fortschritts, als Grundlage für künftige Innovationen und als unabdingbare Voraussetzung für den Kampf gegen Fake News» zu demonstrieren.
Wir sollten bei diesen USA-Projekten die Finanzierung der 2.5 Milliönchen übernehmen. Damit erhalten wir unsere Unabhängigkeit als eines der reichsten Länder der Welt.